Blumen sind ganz nett aber reichen uns schon lange nicht mehr!
Der 8. März ist nicht nur Weltfrauentag, er ist ein feministischer Kampftag!
// Meine Rede am 8. März 2022 in Lüneburg auf der Kundgebung auf dem Marktplatz //
Es ist der Tag, an dem wir uns und alle daran erinnern müssen, dass wir noch weit entfernt sind von dem, was wir erreichen wollen, dass es noch Vieles zu erkämpfen gilt!
Nicht allein die Rechte der Frauen, sondern die Rechte aller FLINTA*, aller BIPoC, aller Menschen, die sowohl strukturell benachteiligt und/oder auch im Alltag diskriminiert werden, gilt es zu verteidigen!
Es reicht schon lange nicht mehr, sich am Frauenkampftag allein auf die Rechte der Frauen zu konzentrieren. Feminismus muss intersektional gedacht werden. Nur gemeinsam und solidarisch können wir Unterdrückung und Ungleichverteilung überwinden.
Dafür müssen wir den Kapitalismus überwinden, denn er ist Ausdruck eines gewaltbehafteten Patriarchats, kontinuierlicher Ausbeutung durch ein neo-koloniales Herrschafts- und Wirtschaftssystem und einer nicht hinnehmbaren Menschenverachtung und Ausgrenzung durch Rassismus und Faschismus!
Wir brauchen einen integrativen, strukturellen Wandel auf allen Ebenen, in allen Bereichen, der das Soziale mit dem Ökologischen zusammendenkt, der Feminismus als eine Querschnittsaufgabe auch in die Klimapolitik denkt und unsere Kräfte in ihrer Vielfalt und Solidarität vereint!
Wir brauchen und wollen Gleichberechtigung, nicht nur auf dem Papier!
Wir brauchen und wollen gleiche Chancen, gleiche Anerkennung, gleiche Löhne, faire Arbeitsbedingungen, gewaltfreie Beziehungen, sichere Räume, die Möglichkeit, uns frei und grenzenlos zu bewegen, frei auszudrücken und zu entfalten, sowohl im Politischen als auch im Wirtschaftlichen, im Sozialen, im Kulturellen, auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene!
Dieser Tag feiert 2022 seinen 111. Geburtstag. In Mecklenburg-Vorpommern und Berlin gilt er als Feiertag. Und in Niedersachsen?! Auch hier sollte der 8. März ein Feiertag sein!
Nun zum Ukraine-Krieg und zur Pandemie: Sowohl der jetzige Krieg als auch die Pandemie verstärken veraltete Rollenbilder.
Die Gewalt eines imperialistischen, diktatorischen Regimes an einer nach Demokratie und Souveränität strebenden Gesellschaft wie der Ukraine ist Ausdruck patriarchaler Machtstrukturen, die sich auf brutale Unterdrückung der Menschen und ihrer Meinungsfreiheit, auf Desinformation, Propaganda und Verfälschung von Tatsachen, auf Massenverhaftungen, Eskalation und Militarisierung stützen. Feministische Ansätze signalisieren Bereitschaft zum Dialog und zur Diplomatie. Feministische Ansätze suchen nach Friedenslösungen ohne Waffengewalt.
Aufrüstung und Wiedereinführung der Wehrpflicht, welche nun von Politiker:innen großer Parteien propagiert werden, spielen genau in die veralteten, patriarchalen Muster, die uns in diesen Krieg gebracht haben und die wir im Hinblick auf eine zukunftsfähige Gesellschaft überwinden müssen. Wer in dieser akuten Kriegssituation sagt, er setze auf Diplomatie und Abrüstung, wird als naiv und realitätsfern bezeichnet. Dabei müssten wir es doch besser wissen: Waffen, Aufrüstung, Militarisierung und Gewalt bringen keine Lösungen. Sie bringen uns nur eine Spirale aus mehr Waffen, mehr Aufrüstung, mehr Militarisierung, mehr Gewalt, mehr Leid und mehr Tod.
Wir brauchen langfristige Lösungsansätze, die mit diesen immergleichen gewaltvollen Mustern brechen und die Menschen in ihren Anliegen an der Graswurzel stärken, weg von Herrschaftssystemen der Ungleichverteilung und Unterdrückung hin zu emanzipatorischen Ansätzen der Umverteilung und Solidarität!
Innerhalb einer Woche mussten mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine fliehen. Deutschland und andere europäische Staaten zeigen große Bereitschaft, diese Menschen aufzunehmen. Auch der Landkreis und die Stadt Lüneburg haben diese Bereitschaft signalisiert. Das ist großartig und jeder flüchtende Mensch braucht und verdient unsere sofortige Unterstützung. Doch wo war und ist diese Bereitschaft, wenn die Flüchtenden nicht aus Europa kommen, nicht Weiße sind, an den EU-Außengrenzen in verdreckten Lagern ausharren müssen, um ihr Recht auf Asyl geltend zu machen und im Mittelmeer zusammengepfercht auf viel zu kleinen, seeuntauglichen Holz- und Schlauchbooten in Seenot geraten und ertrinken?! Wo ist diese Bereitschaft, wenn die Menschen aus Libyen, dem Sudan, dem Mittleren Osten, Afghanistan und anderen Ländern kommen?! Die Seebrücke, die Flüchtlingsräte, Pro Bleiberecht und viele andere Initiativen weisen seit langem darauf hin, und dennoch wird weiterhin an unseren Grenzen differenziert: Die einen nehmen wir auf, die anderen lassen wir ertrinken! Wir sollten uns dieser verachtenswerten Ausgrenzungs- und Abschottungspolitik schämen! Mich macht es unglaublich wütend, dass dieses vorsätzliche Leiden- und Sterbenlassen immer weiter und ungestraft betrieben werden kann.
FLINTA* Personen sind auf der Flucht gleich mehrfachen Formen der Diskriminierung, zusätzlicher sexualisierter, physischer und psychischer Gewalt und verstärkt der Gefahr illegalen Menschenhandels ausgesetzt. Wir brauchen sichere, legale Fluchtwege. Jeder Mensch soll ohne bürokratische Hürden das Recht haben, Grenzen zu überqueren und in Sicherheit zu leben.
Rechtsextremer, konservativ-bürgerlicher rassistischer Propaganda, Hetze und Gewalt muss entschieden entgegengetreten werden! Institutionen wie Frontex gehören abgeschafft und Seenotrettung muss entkriminalisiert werden! Wir brauchen Sichere Häfen, einen sofortigen Abschiebestopp, bedingungsloses Bleiberecht, Bewegungsfreiheit, Wohnraum und Teilhabe für alle!
Und nun zur Pandemie und ihren Auswirkungen auf den Kampf um Gleichberechtigung:
In herausfordernden Zeiten einer Pandemie, verzichten Frauen häufiger auf ihre Erwerbsarbeit und bleiben zu Hause, um sich um Kinder, Haushalt und andere Sorge- oder Care-Arbeit zu kümmern. Selbst wenn sie im Homeoffice oder digital von zu Hause arbeiten, sind sie diejenigen, die zumeist gleichzeitig auch die Care-Arbeit verrichten. Diese Care-Arbeit wird als selbstverständlich angesehen, oft gar nicht wahrgenommen und -natürlich!- nicht bezahlt. Hinzu kommt, dass viele der geringfügig bezahlten Jobs, die während der Pandemie wegfielen, zu einem sehr großen Anteil Frauen betrafen. 2019 waren in Niedersachsen etwa 13% der sozialversicherungspflichtigen Frauen geringfügig beschäftigt und 3,2% der Männer. Durch den erzwungenen Ausstieg aus der Erwerbsarbeit sind Frauen viel häufiger von finanzieller Abhängigkeit und Altersarmut bedroht.
Nicht weil sie weniger arbeiten, sondern weil sie für ihre Arbeit nicht oder ungerecht bezahlt werden. Frauen verdienen in Deutschland durchschnittlich 18% weniger als Männer. Zusätzlich sind FLINTA* am Arbeitsplatz zahlreichen anderen Formen von Diskriminierung, sexualisierter Gewalt und Ungleichbehandlung ausgesetzt. Diese Formen der Unterdrückung, Abhängigkeit und Armut sind strukturell.
Die prekären Bedingungen der Erwerbsarbeit müssen bestreikt werden. Wir brauchen faire, tarifgebundene Bezahlung. Hierarchisierungen zwischen Erwerbsarbeit und Care-Arbeit gilt es zu brechen und antikapitalistische Strategien zur kollektiven und gerechten Organisierung von gesellschaftlich relevanten Aufgaben müssen konzipiert und umgesetzt werden. Es gilt, Klassenverhältnisse zu hinterfragen, die dazugehörigen feministischen Arbeitskämpfe zu führen und antikapitalistische Lösungsansätze einzuleiten und umzusetzen.
Blumen sind ganz nett aber reichen uns schon lange nicht mehr: Wir brauchen Lösungsansätze, die ein gutes und gerechtes Leben für alle ermöglichen!