Solidarität mit Protest im Iran

Am 21. Oktober 2022 fand in Lüneburg eine Soli-Demonstration mit 300 Teilnehmenden und eine anschließende Kundgebung auf dem Marktplatz zur anhaltenden Revolution im Iran statt. Ich durfte im Namen der Seebrücke einen Redebeitrag halten:

"Ich stehe hier heute im Namen der Seebrücke und als Nicht-Iranerin und fühle mich geehrt, hier zu sprechen. Wir, die Mitglieder der Seebrücke, die nicht direkt von den Geschehnissen im Iran betroffen sind, solidarisieren uns mit den protestierenden Iraner*innen, die seit dem Tod von Jina Mahsa Amini Mitte September täglich für ihre Freiheit kämpfen!

Und ich fühle mich doch betroffen und auch wütend, nicht allein wegen der aktuellen Geschehnisse, sondern weil ich weiß, welche Versäumnisse unsere Bundesregierung hinsichtlich unserer Beziehungen zum Iran vorzuweisen hat.

Wir wissen seit Jahrzehnten, dass die Menschen im Iran und vor allem Mädchen, Frauen und FLINTA*-Personen fremdbestimmt und in Unfreiheit leben, systematisch vom Regime der Mullahs und der Sittenpolizei unterdrückt, misshandelt und getötet werden. Die Bilder in den Medien zeigen uns den Mut und die Wut der Kämpfer*innen, die unerschrocken und kontinuierlich in ihrem Kampf gegen das Regime weitermachen, obwohl sie systematisch und auf brutalste Weise misshandelt, geschlagen, mit Tränengas drangsaliert, verhaftet, verschleppt und ermordet werden und jeden Moment befürchten müssen, den Protest nicht zu überleben. Und das unterdrückerische iranische Regime wirkt nicht allein im Iran: iranische Drohnen- und Raketenangriffe werden sowohl auf kurdische Gebiete im Irak geflogen als auch von Russland im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock verwendet aktuell häufig den Begriff „feministische Außenpolitik“. Feministische Außenpolitik basiert laut des Auswärtigen Amtes auf der Überzeugung, „dass Geschlechtergerechtigkeit und gleichberechtigte Teilhabe Voraussetzung für nachhaltigen Frieden und Sicherheit in der Welt sind“.

In Schweden, dem Land, aus dem dieser Begriff stammt, hat die neue rechtsgerichtete Regierung den Begriff feministische Außenpolitik in dieser Woche gestrichen. Und auch in Deutschland hat die CDU vorige Woche einen Antrag im Bundestag eingebracht, in dem sie versucht, feministische Außenpolitik konkret für die aktuelle Situation im Iran auf einen „Testfall frauenorientierter Außenpolitik“ zu reduzieren. Dieser sogenannte Testfall frauenorientierter Außenpolitik setzt die Befreiung der Frauen im Iran mit einem Trage-Verbot des Kopftuches gleich. Wir alle, die hier stehen, wissen, wie falsch dieser Ansatz in diesem um Freiheit und Selbstbestimmung geführten Kampf ist.

Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie weit entfernt wir hier in Deutschland noch von einem angemessenen Verständnis feministischer Außenpolitik sind.

Solidaritätserklärungen der Außenministerin als Videobotschaft mit rührender Klaviermusik reichen nicht. Die Protestierenden im Iran brauchen unsere konkrete Unterstützung!

Deutschland ist der wichtigste Handelspartner für die korrupte Wirtschaft des Irans. Diese Handelsbeziehungen müssen abgebrochen werden. Wir müssen handeln und dafür sorgen, dass die Verantwortlichen der Verbrechen im Iran zur Rechenschaft gezogen werden. Dafür muss eine UN-Untersuchungskommission gegründet werden. Dafür muss auch die Revolutionsgarde des Iran als Terrororganisation eingestuft und gelistet werden.

Wer Menschenrechtsverletzungen im Iran begeht, darf kein Einreiserecht erhalten, darf keine Konten und kein Eigentum in Deutschland besitzen. Profiteure des Systems und die Machtelite, die auf Kosten der Bevölkerung ihre Vorteile erschlichen haben und oft Luxusimmobilien im Ausland besitzen, müssen hart sanktioniert und bestraft werden. Und wir brauchen praktikable Lösungen, um den Protestierenden freien Zugang zum Internet und zu Informations- und Kommunikationskanälen zu ermöglichen, damit sie sich organisieren können.

Menschen, die vor dem Terrorregime flüchten, müssen hier bei uns Schutz und Aufnahme erhalten. In vier Bundesländern wurde ein Abschiebestopp in den Iran bewirkt. Dieser Abschiebestopp muss für alle Länder gelten, nicht allein in Deutschland sondern in ganz Europa. Menschen mit dem prekären Status einer Duldung muss sofort dauerhafter Schutz und eine Aufenthaltserlaubnis gewährt werden.

Feministische Außenpolitik bedeutet auch, dass es endlich ein Ende haben muss, dass alte, weiße Männer oder alte bärtige Männer die Regeln des Zusammenlebens und der Politik bestimmen. Es muss Schluss damit sein, dass Frauen und andere Gruppen instrumentalisiert, unterdrückt und marginalisiert werden. Wir brauchen mehr Internationalismus, mehr Vereinigung der Unterdrückten aller Länder, um gemeinsam im Kampf die ungerechten Machtstrukturen, Unterdrückung und Missachtung der Menschenrechte zu benennen und zu durchbrechen.

Für diese Art feministischer Außenpolitik braucht es internationale Solidarität von unten, bei der sich progressive Initiativen im Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung und für die Wahrung der Menschenrechte zusammenschließen und gemeinsam kämpfen, gegen unterdrückerische Regime, gegen die Abschottung Europas, gegen das Sterbenlassen flüchtender Menschen im Mittelmeer und für eine Welt, in der alle gleichberechtigt und selbstbestimmt in Freiheit leben können. Wir brauchen eine Welt, die für alle Menschen ein Sicherer Hafen ist!"