Interview - Bezahlkarte und bürokratische Hürden für Geflüchtete

Auf Einladung von Wilma, Pauline und Emily, drei Studierende der Universität Lüneburg, durfte ich heute im Rahmen der Konferenzwoche an der Universität Lüneburg im Seminar "Ressourcenorientierte Perspektiven auf Migration - Praxisbezogene Forschung in Kooperation mit dem Mosaique e.V." , welches von Lea Gathen angeboten wird, meine Standpunkte zur aktuellen Flucht- und Migrationspolitik darlegen und diese gemeinsam mit den Studierenden und Vertreter*innen von Seebrücke, Refugee Law Clinic, mosaique und dem Kirchenasyl diskutieren. Die Gruppe Studierender, die mich eingeladen hatte, beschäftigte sich vor allem mit bürokratischen Hürden im Asylverfahren (in Deutschland). Einen speziellen Fokus legten sie auf die Bezahlkarte, die deutschlandweit eingeführt werden soll. Zu dieser Thematik führten sie Interviews mit verschiedenen Akteur*innen durch. Meine Antworten zum Nachlesen:

 

Interview zum Thema:

Welche politischen Instrumente nutzt die deutsche Politik, um bürokratische Hürden für Geflüchtete im Alltag zu verringern und inwieweit sind diese wirksam? Am Beispiel von Bezahlkarten.

 

 

Auf welche bürokratischen Hürden stoßen Geflüchtete (im Alltag)? Welche bürokratischen Hürden sehen Sie zur Zeit als größtes Problem im Alltag von Geflüchteten und warum?

Geflüchtete Menschen stoßen auf eine Menge bürokratischer Hürden, die ihnen das Ankommen und Leben in Deutschland erschweren. Die Gesetzeslage zu Flucht und Migration ist komplex, die Entscheidungsfindungsprozesse sind langwierig, undurchsichtig und zermürbend für die Beteiligten und es gibt eine Menge verschiedener Aufenthaltstitel, wodurch sich eine Art Mehrklassengesellschaft unter den Geflüchteten bildet. Wir haben dann Geduldete, Dauergeduldete, Ausbildungsgeduldete, Gestattete, Asylberechtigte, Schutzberechtigte, subsidiär Schutzberechtigte,  Geflüchtete gemäß Genfer Flüchtlingskonvention, usw. Die Art des Aufenthaltstitels hat Einfluss darauf, ob jemand zu Sprachkursen zugelassen wird oder monatelang warten muss, bis sich der Aufenthaltsstatus so verändert, dass Integrationsmaßnahmen als sinnvoll betrachtet und genehmigt werden. Dabei wären Sprachkurse doch ab Tag eins sinnvoll, allein schon, um sich in der deutschen Bürokratie zurechtzufinden. Es kann also sein, dass viel Zeit ungenutzt vergeht.

Auch bei der Anerkennung eines ausländischen Schul-, Studien oder Berufsabschlusses oder bei der Arbeitserlaubnis hält die deutsche Bürokratie viele Hürden bereit, die zu langen Wartezeiten führen können, bis Menschen endlich in ihrem Beruf arbeiten dürfen. Zudem erschwert die Wohnsitzauflage, die Menschen an einen bestimmten Wohnort bindet, den Zugang zum Arbeitsmarkt und führt dazu, dass prekäre Beschäftigungsverhältnisse angenommen werden müssen, obwohl ohne örtliche Einschränkungen bessere Berufs- und Lebensperspektiven vorhanden wären.

 

Inwiefern könnten bestehende politische Instrumente verbessert oder erweitert werden, um den Bedürfnissen von Geflüchteten besser gerecht zu werden? Was sind die gegenwärtigen Instrumente?

Die bestehenden politischen Instrumente sind nicht derart gestaltet, dass sie Menschen möglichst willkommen heißen und schnell und gut in ein Leben in Deutschland und den hiesigen Arbeitsmarkt integrieren, sondern derart, dass Menschen so gut es geht ferngehalten und ausgegrenzt werden.  Alles ist darauf ausgerichtet, flüchtende und migrierende Menschen abzuwehren. Dabei gehören Flucht und Migration zum Einwanderungsland Deutschland seit jeher dazu und werden auch in Zukunft nicht plötzlich enden. Statt sich immer neuere Methoden auszudenken, wie man Menschen an den Grenzen festsetzen, kriminalisieren oder sie leichter wieder loswerden kann, sollten wir uns unserer Verantwortung stellen, Menschen auf der Flucht Schutz zu gewähren und gemeinsam mit ihnen eine Zukunft schaffen, die allen ein gutes Leben und ein gutes Zusammenleben ermöglicht.

Immer neue Formelkompromisse, bei denen wie bei der Ausbildungsduldung die Gesetzeslage unklar bleibt und Verantwortung von A nach B geschoben wird, führen zu großen Unsicherheiten, nicht nur bei den geflüchteten Menschen sondern auch bei den Ausbilder*innen und Arbeitgeber*innen. Es müssen dringend klare Gesetzeslagen geschaffen werden, die es den Menschen ermöglichen, ohne Angst und Unsicherheit zu leben, eine Ausbildung zu machen, einen Beruf auszuüben, ein selbstbestimmtes, freies Leben zu führen.

Zudem muss der Bund die Länder und Kommunen finanziell in ausreichendem Maße ausstatten, damit Fördermöglichkeiten und Integrationsmaßnahmen gut umgesetzt werden können. Es bedarf eines Finanzierungssystems, das sich dynamisch an der Anzahl der zu versorgenden Menschen ausrichtet und auch die Kosten der Unterkunft umfasst.

 

Wie effektiv sind aus Ihrer Sicht die politischen Bemühungen, um bürokratische Hürden insbesondere im finanziellen Bereich für Geflüchtete zu verringern?

Inwiefern haben politische Initiativen und Maßnahmen bisher dazu beigetragen, bürokratische Hürden zu reduzieren?

Liegt die Reduzierung von bürokratischen Hürden im Interesse der Politik?

 

Die Reduzierung bürokratischer Hürden sollte im Interesse der Politik liegen, aktuell sehe ich jedoch nur Asylrechtsverschärfungen und steigende Hürden für die Beteiligten. Initiativen und Maßnahmen wie die GEAS-Reform, das Rückführungsverbesserungsgesetz, Arbeitspflichten, eine Umstellung auf Sachleistungsversorgung und mit Einschränkungen belegte Bezahlkarten sind diskriminierend, bevormundend und zum Teil auch rechtswidrig. Sie führen nur zu mehr Ausgrenzung, Stigmatisierung und zu steigender sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Die Umsetzung solcher Maßnahmen spielt den Rechtspopulisten in die Hände und gefährdet Zusammenhalt, Zusammenleben und Demokratie.

 

Welche Maßnahmen wünschen Sie sich im Hinblick auf die aktuelle Asylpolitik?

Haben Sie konkrete Ideen oder Empfehlungen, wie bestehende politische Instrumente optimiert werden könnten, um die Bedürfnisse der Geflüchteten besser zu adressieren?

Könnten Sie konkrete Vorschläge oder Verbesserungsvorschläge für die Asylpolitik in Deutschland formulieren?

Die bereinigte Quote der Menschen, denen in Deutschland Schutz gewährt wird, liegt bei über 70%. Das aktuell verabschiedete Rückführungsverbesserungsgesetz macht Abschiebungen nur brutaler, entlastet jedoch die Kommunen nicht. Statt in großem Stil auf rechtspopulistische Abschiebungsrhetorik zu setzen, die nur Hass und Hetze schürt, brauchen wir eine Politik, die Aufnahme und Teilhabe verbessert und in die soziale Infrastruktur der Kommunen und Länder investiert. 

Wir brauchen eine menschengerechte Politik, die sich für eine fortschrittliche, solidarische und offene Gesellschaft einsetzt, die Menschen ein gutes Leben ermöglicht und an der jede*r teilhaben kann ohne Angst vor Armut, Ausgrenzung und Diskriminierung. Statt auf Instrumente der Bevormundung und Ausgrenzung zu setzen, sollten Instrumente der Solidarität geschaffen werden. Das bedeutet, Menschen sollte z.B. erlaubt sein, an dem Wohnort zu leben, den sie für sich wählen. Wohnsitzauflagen, die Menschen z.B. bei der Arbeitsplatzsuche behindern, gehören beseitigt. Eine Unterbringung geflüchteter Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen sollte nur kurzfristig und wenn unbedingt nötig erfolgen, ansonsten sollte massiv in die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum investiert werden, der allen Menschen zugutekommt.

Weiterhin sollte jede*r Geflüchtete sofort die Möglichkeit bekommen, einen Sprachkurs zu belegen, eine Ausbildung zu beginnen bzw. eine Arbeit aufnehmen zu dürfen. Jegliche Form von Arbeitsverbot muss beseitigt werden, Arbeitserlaubnis darf nicht restriktiv sein und die Anerkennung von Qualifizierungen muss erleichtert werden.

Spezifisch Bezahlkarten:

Sind Sie der Ansicht, dass diese Karten den Asylprozess beschleunigen können, indem sie den Verwaltungsaufwand verringern?

Wie haben sich aus Ihrer Sicht die bürokratischen Abläufe und der Verwaltungsaufwand für Geflüchtete durch die Einführung von Bezahlkarten verändert?

 

Die Einführung der Bezahlkarten für Geflüchtete zielt nicht auf die Reduzierung bürokratischer Abläufe und des damit zusammenhängenden Verwaltungsaufwands, sondern sie ist reine Symbolpolitik, die mit Vorurteilen spielt, um geflüchtete Menschen zu diskriminieren und zu schikanieren und der Gesellschaft vorzugaukeln, man setze sich für angemessene Ziele ein. Menschen flüchten vor Krieg, Verfolgung und Tod und nicht wegen der mickrigen Sozialleistungen, die es in Deutschland zu beziehen gibt. Die Erzählung, Bezahlkarten würden dem Staat Einsparungen bringen, weil sie geflüchtete Menschen davon abhielten, Gelder ins Ausland zu überweisen, ist realitätsfern und rechtspopulistische Hetze. Aktuell wird bereits diskutiert, die Bezahlkarte auch für Bürgergeldbezieher*innen einzuführen. Bezahlkarten sind Augenwischerei, die benachteiligte Gesellschaftsgruppen zum Sündenbock für eine verfehlte Wirtschafts- und Sozialpolitik macht. Was wir stattdessen dringend bräuchten, ist eine effektive Bestrafung der Steuerflucht großer Konzerne, die gerechte Besteuerung von Vermögen, von Erbschaften und von Übergewinnen, eine Umverteilung von Oben nach Unten, damit angemessen in die soziale Infrastruktur, also Schulen, Gesundheitswesen, bezahlbaren Wohnraum, bezahlbare Energieversorgung, usw. investiert werden kann.

 

Welche Probleme sehen Sie durch die Einführung von Bezahlkarten entstehen?

Gibt es Herausforderungen oder Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit der Nutzung von Bezahlkarten besonders hervorstechen?

Die angedachten Bezahlkarten sind bevormundend, stigmatisierend und diskriminierend. Sie schränken den Bereich, in dem eingekauft werden kann, auf eine bestimmte Anzahl an Geschäften ein. Sie erlauben es den Besitzer*innen nicht, frei über ihr Geld zu verfügen und dieses bar am Automaten abzuheben, um z.B. mit dem Bargeld auf Märkten zu bezahlen. Die Bezahlkarten sind ein Armutszeugnis einer fehlgeleiteten Politik der sozialen Ausgrenzung und Diskriminierung, die geflüchtete Menschen bevormundet, stigmatisiert, ihre Freiheit noch weiter einschränkt und sie zu Menschen zweiter Klasse herabstuft.

 

Wie gewichten Sie die räumliche Beschränkung von Einkaufsmöglichkeiten in Bezug auf die persönliche Freiheit?

Inwiefern beeinflusst die Begrenzung der Einkaufsmöglichkeiten die Lebensqualität und Freiheit der Geflüchteten?

Bezahlkarten, die es ihren Besitzer*innen nicht erlauben, Geld in bar abzuheben und frei darüber zu verfügen, schränken die Selbstbestimmung massiv ein und mindern die Lebensqualität der Menschen. Sie sind ein unnötiges Kontroll- und Überwachungssystem, das Menschen zur Unmündigkeit degradiert und ihnen Würde und Eigenständigkeit nimmt.

 

Denken Sie, dass Bargeld eine wichtige Rolle für den Integrationsprozess spielt?

Wie wirkt sich die Art der finanziellen Unterstützung auf den Integrationsprozess und das soziale Umfeld der Geflüchteten aus?

Eine Geldkarte ist nur sinnvoll, wenn sie wir jede andere Geldkarte auch die Möglichkeit gibt, nach Belieben über das Geld zu verfügen, d.h. der*m Besitzer*in die Entscheidung überlässt, wie, wo und wann sie*er über das Geld verfügen will. Ob die*der Besitzer*in dann die Entscheidung trifft, das Geld in bar auszugeben oder digital, sei ihr*ihm nach eigener Vorliebe selbst überlassen. Eine finanzielle Unterstützung, die so anders gestaltet ist als das direkte Umfeld, kann nur desintegrierend und degradierend wirken. Falls es wirklich um die Reduzierung von Bürokratie und Verwaltungsaufwand geht, sollte eine ganz normale Geldkarte dies ermöglichen, ohne dass die*der Besitzer*in bevormundet und kontrolliert werden muss.